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Thüringer Dekameron


Feuchte Pflaumen und Schnecken

Coverentwurf Thüringer Dekameron

Es war nicht leicht für Olga in ihrem Leben. Aber manches nahm sie leichter hin, manches machte sie mit einer Leichtigkeit, die alle Schwere des Daseins wie lauter Luft erscheinen ließ. Über Olga Tschechowa geht es hier nicht, aber nach Olga Konstantinowna Tschechowa bekam die Olga aus Thüringen an der Werra ihren Namen um 1927 wegen dem Film „Florentiner Hut“ verpasst. Mit dem Namen wohl auch einen künstlerischen alternativen Werdegang.

In Sachsen wurde sie nach einer Werkbundausbildung Weberin und bekam Kontakt zu Künstlerinnen in Dresden, wie Gret Palucca, die Bauhaus verseucht war. „Geradlinigkeit und Raum“ war Olgas künstlerisches Credo, was in ihrem Dorf niemand auch nur im Ansatz verstand. „Palucca verdichtet den Raum, sie gliedert ihn: der Raum dehnt sich, sinkt und schwebt – fluktuierend in allen Richtungen.“ meinte Maholy-Nagy. Maholy-Nagy kannte Olga nicht, er hätte die „Geradlinigkeit“ der Olga diesem Ausspruch dazu sicher angedichtet.

Anfang 1949, mit zweiundzwanzig Jahren, in der Nachkriegszeit war Olga wieder in ihrem Heimatdorf zurück. Was scherte sie Kunst, Kultur, Großstadt, geradlinige Schiffchenbewegungen ihrer Webstühle wo in der Zeit der Lebensmittelmarken sie Land und Wald geerbt hatte und Rüben, Kartoffeln, Kraut und Möhren anbauen konnte. Um zu Leben, um zu überleben. Zwei Webstühle hatte sie aus Dresden mit gebracht und ein Webstuhl befand sich noch in Dresden, in einem halb verbranntem Haus. Es waren die Webstühle ihrer Lehrerin, der ihr die Webstühle noch vor der Bombennacht in Dresden vermachte. Die Lehrerin verbrannte, die Webstühle verbrannten nicht.

Kein Platz für die Webstühle war in Thüringen im Elternhaus. Im Haus ihres Bruders kam sie erst mal unter. Zwei Webstühle und eine Wirkmaschine lagen zerlegt auf dem Speicher in unzählige Latten und Holzbalken. Kisten mit Garn und seltsam farbige Wolle lagen daneben und dabei.In ihrer selbst gewebten Umhängetasche über den selbstgewebten Kleidern und Mänteln hatte sie den Frachtbrief für den dritten Webstuhl, einen Jacquardwebstuhl. Der hatte Lochkarten aus Sperrholz und war halbautomatisch gesteuert. Es war eine der ersten bekannten Lochkartentechniken vor der Erfindung anderer digitaler Datenträger. Im Umkreis von dreißig Kilometern gab es keinen solchen Webstuhl, denn gewebtes kam im Werratal aus Sachsen oder Schlesien. Schlesien gab es nicht mehr, Sachsen war kaputt. Mäntel machte man aus alten Soldatenmänteln.

Noch schlimmer, Männer gab es auch kaum noch. Die wenigen, die aus dem Krieg heil zurück kamen, waren Bauer oder Bergmann. Eine selbständige Frau, die webt, wollten die nicht. Die wollten eine Frau für Küche Bett, Kinder. Es gab genug Frauen anderer Couleur. Stricken, Häkeln und Spinnen wäre ja noch gegangen. „Weben? Was soll das? Das ist Teufelszeug!“

Obwohl Stricken konnte Olga auch. Nicht nur mit der Hand. Olga hatte eine kleine Kulierwirkmaschine von Hermann Stärker aus Chemnitz. Mit dieser Cottonmaschine konnte Olga gleichzeitig in einem Arbeitsgang vier braune Strümpfe des damaligen Zeitgeschmacks stricken. Zwei rechte und zwei linke. Für sich selber strickte Olga keine braunen Strümpfe, wie sie damals in Deutschland und Thüringen üblich waren. Olgas Strümpfe waren blau und hatten alle zehn Zentimeter einen roten, weißen oder grünen Streifen. Das korrespondierte mit einem grünen Mantel und einer selbstgestrickten komischen roten Mütze. Olga hat keinen Geschmack sagten die Frauen im Dorf. „Grün und blau das beißt sich – blaue Strümpfe geht schon mal gar nicht“ sagten diese „Modeexpertinnen.

Olga richtete sich im Haus ihres Bruder nicht lange ein. Olga fing an ein Haus zu bauen – ganz alleine zwei Jahre nach dem Krieg. Teile eines ihrer fruchtbaren Grundstücke tauschte sie um gegen damals fast wertloses Bauland. Ein Architekt, dessen Frau oft müde war, verhalf sie heimlich leise und geradlinig munter in ihr Bett, wo er nach der Heimlichkeit ihres verwühlten Bettes die Zeichnung eines Holzhauses anfertigte. Olga war gründlich. Das Haus wurde dreimal gezeichnet. Einmal weil der Keller zu groß war und zuviel Zement verbraucht hätte, was sowieso oberar war. Einmal weil es zu langweilig siedlungshaft armselig war und zum letzten, weil es zu schwach gedämmt war. Heizmaterial war sehr knapp und weniger Brennstoff war zwingende Notwendigkeit. Zur besseren Dämmung brauchte man Torf zwischen die Holzaussenseiten und Holzinnenseiten des sehr leichten Hauses.

In dem kleinen Keller des angefangenen Hauses zog dann mit ihr ein Schäfer und Imker aus Schlesien ein. 13 Schafe hatte er aus seiner alten Heimat gerettet und acht Bienenvölker, die den nächsten Winter überstehen mussten. Nach der ersten gemeinsamen Nacht machte Olga mit dem Schäfer einen Vertrag, das im Frühling ihr zwei Schafe und ein Bienenvolk gehören werden. Im Sommer 1950 war das Haus fast fertig. Olga hatte sogar dann vier Schafe und zwei Bienenvölker, obwohl der Schäfer kurzzeitig aus ziehen musste, weil Olga einen Ofenbauer aus Dessau aufgenommen hatte. Der Ofenbauer brachte Wärme in die Mitte des Hauses. Rund um die gewendelte Treppe zur Dachetage wurde ein raffinierter Warmluftofen eingebaut, der von einer Brennstelle vom Flur aus warme Luft in das Erdgeschoß und die Dachetage leitete. Ab den Sechziger Jahren baute mancher im Dorf diesen raffinierten Ofen nach, so auch ihr Bruder,

Olga blühte auf wie die vielen Obstbäume, die von einem Obstbauern aus Werder gepflanzt wurden, der sich mit „okulieren“ auskannte. Nach der regelmäßigen nächtlichen Ejakulation in Olgas scharfen Schoß wetzte der Obstbauer aus Werder die noch schärfere Klinge seines Okuliermessers. Okulation ist eine Art der Pflanzenveredelung, bei der vom Edelreis nur eine ruhende Knospe das „Edelauge“ verwendet wird. Dieses Auge der Edelsorte wird mit einem kleinen Stück der umgebenden Rinde in die Mutterpflanze eingesetzt. So hatte Olga manchmal an einem Pflaumenbaum unterschiedliche drei Pflaumensorten. Grüne, blaue und rote Pflaumen. Pflaumen für „Maaatschkuche“.

Im Dorf war Olga auf Grund ihres seltsamen Lebenswandels bei allen Frauen unten durch. Bei den Männern weniger. Es war kein Geheimnis, das man für ein paar Lichtschalter, Draht und Wasserleitungen die Olga in der Zeit zwischen Kirchgang und Mittagessen entsprechend versorgen konnte. Und man konnte es der Olga dazu gründlich besorgen. „Hast deu zuviel Lust und ein paar Nägel, dann geh zur Olga mit deinem Schlegel.“

Olga war eine Wilde. „Die wilde Olga“ machte es, wenn sie ihre Tage hatte auch mal mit dem Mund erzählte man sich bei vorgerückter Stunde in den Dorfkneipen. Dazu dudelte auf dem Plattenspieler bei Olga eine seltsame Musik von Edvard Grieg, das Piano Concerto Nummer 1. An ihre im Garten befindlichen „Escargot de Bourgogne“ mit ihrer zarten Konsistenz und mit dem angenehmen und immer leicht erdig-nussigem Eigengeschmack dachte dabei die Olga. Die feuchten Schnecken!

Olga war künstlerisch mit dem Design ihrer Stoffe ein wenig eigen. Sie lehnte sich an der Bauhaus-Textilkünstlerin Margaretha Reichardt an. Die Stoffe konnte sie eventuell im Dorf als Teppiche für vor die Toilette verschenken. Verkaufen ging nicht. Edvard Griegs – Morgenstimmung mochte man, wenn man zum Tee bei Olga war. Die Stoffe fanden alle furchtbar. Für gutes Geld wurden die Stoffe nach Ostberlin, Westberlin, Nürnberg, Leipzig und Dresden verschickt. Die Bäume fingen an fulminante Ernten zu ermöglichen, mit denen Olga die Bäcker und Konditoren der Region belieferte. Zum Honig kam die damals noch nicht so sehr begehrte Weinbergschnecke „Helix-Pomatia“, die „echte“ Weinbergschnecke, die „Escargot de Bourgogne“.

Irgendwann Ende der Fünfziger war Olga völlig in allem autark. Sie war absolut unabhängig von den schnellen Besorgungsritualen geworden. Die Partner blieben nun konstant auf längere Zeit. Es waren aber seltsame Typen. Der eine brachte schwarzen Soayschafe aus Irland mit. Das „Schwarze Schaf“ der Familie brauchte nun nicht mehr die Wolle schwarz färben zu lassen. Das war praktisch, schnell und kostengünstig. Wer mit Olga zusammen lebte, mutierte automatisch zum Sonderling. Es waren Fremde, nie ein Mann aus dem Dorf. Gleichzeitig mit dem Greisenalter waren keine Männer mehr bei ihr. Entweder sie waren gestorben oder Olga hat sie raus geschmissen.

Langsam sprach sich herum, dass sie mehr Geld auf dem Konto der Sparkasse hatte als die komplette Verwandtschaft. Olga war eine vermögende Frau. In den Gedanken teilte man sichschon das bevorstehende Erbe unter sich auf, als Olga aus Alters- und Krankheitsgründen das Ende ihrer Lebenszeit kommen sah und ein Testament auf setzte. Das hat dann nicht ganz so geklappt mit der Aufteilerei. Olga teilte nach ihrem Befinden! Das Pflichtteil, miese Äcker an der Werra, die im Frühjahr im Hochwasser immer absoffen, erbte die bucklige Verwandtschaft. Das schöne Holzhaus und den Garten mit den schönen Bäumen erbte eine Thüringer Künstlerin, die ihr näher stand und nicht zur Familie gehörte.

© Richard Hebstreit 2011

Cover Entwurf Thüringer Dekameron
Thüringer Dekameron