Berlin – Essen & Trinken – Restaurant – Andere Asiatische – Vietnamesisch
Huhn nach Krieg
Mein erstes vietnamesisches Essen war „Huhn aus Eimer“ auf dem Hof eines Studentenwohnheim in Karl-Marx-Stadt. Meine vietnamesischen Kommilitonen hatten im Konsum drei Hühner besorgt,
diese zerteilt und mit schrecklich viel Gemüse an einem Dreibein in einem Emailleeimer über offenem Feuer zum Kochen gebracht. „Aha, Hühnersuppe“ dachte ich. Die Menge der deutschen
Kommilitonen schwoll über zwanzig Leutchen an und ich dachte „paarundzwanzig Leute durch drei Hühner – plus zehn Vietnamesen – hier werde ich nicht satt!“
Kommilitonen schwoll über zwanzig Leutchen an und ich dachte „paarundzwanzig Leute durch drei Hühner – plus zehn Vietnamesen – hier werde ich nicht satt!“
Es war ein Fehlurteil, denn man brachte dazu aus der Studentenwohnheimküche einige Kilo gekochten
Reis, Nudeln und Kartoffeln. In einigen Schüsseln befanden sich klein geschnippelte Salatmixturen. Es war um 1975, tiefste DDR Zeit und Ingredienzien wie Bambussprossen, Sojakeime und asiatische Gewürze gab es
nicht im Konsum und der HO. Aber es gab Pfeffer, Chili- und Paprikaschoten aus Ungarn, aus denen die
vietnamesischen Studenten scharfe Soßen mischten oder köchelten.
Dann schöpfte ein Student einen Teil der inzwischen halb gar gekochten Hühner aus dem Eimer und
verschwand nach oben in die Küche. Nach einer halben Stunde war er wieder unten. Die bis dato blassen
Hühnerteile hatten sich in meinem Beisen wundersam in Größe, Farbe und Geschmack verwandelt. Ein
Teil war mit einem Teig umwandelt und noch mal in Tri-Palmitinsäure-Glyceryl-Ester frittiert. „Tri-
Palmitinsäure-Glyceryl-Ester ist Kokosfett“ grinste bei diesem Kommentar ein Vietnamese dazu – er hätte
das aus dem Konsum pfundweise besorgt. Ich sah das erste mal in meinem Leben, wie frittiert wird. Ratz
fatz ging das da, aber mit einer seltsamen Ruhe. Ich dachte, die meditieren da beim Kochen. In Küchen,
egal ob zu Hause oder in der Gastronomie hatte ich bis dahin nur Hektik erlebt. Hier panierte einer
seelenruhig Gurkenscheibchen, einer zerquetschte Radieschen und Zwiebeln zu einer Paste, ein anderer
machte komische Nudeln mit Weißkrautfüllung.
Die Vietnamesischen Studenten, (100.000 Vietnamesen haben in der DDR studiert) die wir bisher als
äußerst sparsam und zurückhaltend wahrnahmen, hatten mehrer Kästen Bier und einen Karton
Nordhäuser Doppelkorn besorgt. So gegen Abend fingen wir alle an zu singen – im Eimer schwommen
immer noch einige Hühnerstücke. Bei „In einem kühlem Grunde“ sangen wir Deutschen Studenten nicht mit. Wir kannten den Text und die Melodie nur vom Hören. Die Vietnamesen kannten alle den kompletten Text und die Melodie. „Was ist das nur für ein komisches Volk?“ dachte ich. „Und wie klein die sind – und uns
trotzdem beim Volleyball schlagen – und viel besser in „Technischer Mechanik“ und „Achsen/Lager/Wellen/Kupplungen“ sind.
Es war der 01.Mai 1975. Am 30. April 1975 hatte die Nordvietnamesische Armee Saigon eingenommen.
Der Vietnamkrieg war zu Ende.
Daran denke ich, als ich von Bekannten aus Berlin, die kürzlich in Südvietnam waren, in das „MISS
SAIGON“ eingeladen wurde. „Wir treffen uns vor der Mosche!“ neben dem ehemaligem Hotel „Deutsches
Haus“, das ist jetzt seit drei Jahren das „MISS SAIGON“.
Fast alle Häuser wurden rund um das „Deutsche Haus“ nach Bombenangriffen Krieg zerstört oder
halb zerstört. Ein Hansjörg Götz, ein ehemaliger Erbe des Hauses verbrachte hier seine Kindheit bei Oma
Elsa Slaby mit Haushälterin Ella Neumann, steht irgendwo im Restaurant und verweist auf die Geschichte
des Hauses.
Ich bestelle „Thịt bò lúc lắc“ – Geschwenktes Rindfleisch, das mit kleinen Timing Unterschied serviert wird.
Fein schmeckt es und ich warte nicht bis die anderen ebenfalls ihr Essen bekommen. Daher esse ich es
fast alleine. Danach beginnt eine seltsame Fressorgie.
Neben mir, eine Bekannte bekommt einen Tee in einer großen Tasse. Gesüßt ist der Tee mit Süßholz – ich koste davon. Schmeckt ganz anders als ich Tee bisher gekostet habe. Der Tee ist anders aromatisch und gut. Alle trinken den Tee – denn die Tasse geht rundherum um den Tisch.
Vorspeisen werden serviert. Frittierte Frühlingsrollen, mit einer Soße, in die
alle, aber auch alle die Frühlingsrollen tunken, die ein Stück Frühlingsrolle erwischen. Tofu-Teile, die wie
Schwein schmecken sollen, werden per Gabelbissen verteilt. Es schmeckt wie Schwein – auch so trocken
wie Schwein. So fünf andere Gerichte koste ich noch, wenn man mal nicht schnell genug ist den Teller leer zu putzen.
Die Bekannten, die in Südvietnam waren, frage ich, ob es dort auch so geschmeckt hat, bejahen das und
legen mir eine dürre sehr lange Zwiebelschote auf den Teller, die eigenartig süß und gleichzeitig zwiebelig
schmeckt.
http://www.youtube.com/watch?v=SPd-5Eyybpg
© 2012 Richard Hebstreit
(www.oparazzi.de)
Mein Beitrag zu miss saigon – Ich bin rhebs – auf Qype