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„EXELSIORHAUS – Fenstersturz“


Eine Waschbetonfassade eines 17-stöckigen Stahlbeton-Skelettbaus von 1972 vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin Kreuzberg. Die Aluminiumdrehfenster verursachten bei mir eine Heizkostennachzahlung , die mein monatliches Bugdet schlicht und einfach sprengten. Weil, im Winter heizte ich durch diese bescheuerten Fenster mit der Wärmedämmung Null halb Berlin.


Gegen 13.00 Uhr am 24.06.2011 drehte im EXELSIORHAUS in der Stresemannstraße 76 in einer oberen Etage ein junger Mann seine Musikanlage bis zum Anschlag des Lautstärkenreglers. Dann packte er eine Umhängetasche und eine Papiertüte. Obenauf in der Papiertüte legt er ein Buch „Nach der Suche nach dem verlorenen Glück von Jean Liedloff. Dt. Übers. von Eva Schlottmann und Rainer Taëni: gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit. Vor dem Hinterhof neben einer Spielhölle legt er die Sachen ab und fährt wieder in seine Etage hoch und beginnt mit dem „Ausräumen“.

An seiner Wohnungstür im Exelsiorhaus steht „ICH BIN LAUT!“.  Am vierundzwanzigsten Juni wurde er, wie gesagt sehr, sehr laut. Zuerst flog ein Farbeimer mit blauer Dispersionsfarbe aus dem Fenster. Dann sporadisch Teile seiner Wohnungseinrichtung. Kühlschrank, Flachbildschirm, PC, Drucker, Handys, Staqubsauger, Blumentöpfe mit Pflanzen. Alles mit Ankündigung. Verletzen wollte er wohl niemand. Eine KFZ- Reparaturwerkstatt oder die Köche eines Italieners der Stresemannstraße alarmieren die Polizei. Als er den Elektroherd aus dem Fenster wuchten wollte, kam das SEK mit Schußwesten um den Bauch und materialischen Helmen. Eine Nachbarin sagt, „Ein freundlicher ruhiger junger Mann, der nach verschiedenen WG´s seine erste Wohnung bezogen hat. Den Kühlschrank hatte er erst ein halbes Jahr.

Irgendwann bekomme ich den Rabatz mit. Schnappe meine Kamera und knipse aus dem Fenster dieses „Ereignis“ auf dem Hof. Ein paar zerschmetterte Elektroteile. „Hoffentlich springt da keiner runter!“ denke ich und denke an eine Erlebnis vor zehn Jahren auf der Halbinsel Stralau in Berlin, wo eine Filmproduzentin aus dem 10. Stock in selbstmörderischer Absicht gesprungen war und von Haselnußbüschen in ihrem Sinne erfolgreich aufgespießt wurde. Knipsen konnt ich das nicht, mir wurde schlecht.

Zum Glück springt niemand aus dem Fenster. Das SEK führt dann den „Täter“ ab und ich stehe zufällig neugierig wie alle anderen nicht ursächlich Beteiligten dabei. Meine Kamera knipst nun fast automatisch im Modus „Sport“ sechs Fotos in der Sekunde. (Ich jobbe manchmal als Pressefotograf) Als ich die Bilder in meinem PC auswerte, bin ich betroffen. Der Blick des jungen abgeführten Mannes zeigt, das er Probleme hat. Welche, kann ich nur raten. Hat er Drogen intus? Hat Freund oder Freundin Schluß gemacht? Ich kann es nach vollziehen. Als ich so jung wie er war, stand ich auch mal auf einer Leiter mit einem Strick um den Hals und wollte springen. Der Text hier beweist, ich bin nicht gesprungen. Mir hat dann jemand geholfen.

Ich weis aus meiner Lebenserfahrung heraus, das dieses „Schmeißen“ von Gegenständen aus dem Fenster ein Hilferuf ist. Nicht mehr und nicht weniger. Wer der Adressat des Hilferufes ist, ist mir unbekannt. Nicht unbekannt sind so Wünsche, mal alles aus dem Fenster zu schmeißen. Fast jeden Tag hab ich den Wunsch, der durch meinen Müllschlucker ausgebremst wird.

Denke da nun an eine alte Sache aus der DDR.  „HGL“ hieß das. „Hausgemeinschaftsleitung“. Ich hab mal im größten Mietshaus der DDR gewohnt. „Halle-Neustadt“, 1.WK (Erster Wohnkomplex) Block 618, Wohnung 235.  Anonym war da trotzdem fast niemand. Man hat sich um jeden gekümmert. Ob der nun wollte oder nicht. Mir ging das damals auf den Geist. Es gab Hausgemeinschaftsräume, in denen oft gefeiert wurde. Das war das „Kümmern“. Es ergab sich automatisch. Mir war das damals zu viel „Kümmern“. Das Exelsiorhaus ist Marktwirtschaft, da wird nix „gekümmert“.  Verwerten von Einraumwohnungen, 1,5 Raum Wohnungen. Es ist praktisch das größte Singlhaus Berlins. Viele Studenten, einige Senioren so wie ich und sonstige seltsame Mieter.

„Die Single-Hauptstadt war jahrelang identisch mit der Bundeshauptstadt. Doch die neuesten Daten weisen Berlin mit einem Singleanteil von 54,3 Prozent nur noch auf Rang zwei aus. Das neue Zentrum der alleinlebende ist Regensburg mit einem Singleanteil der Haushalte von 55,8 Prozent.“

Was kümmert mich Regensburg und die Statistik. Statistisch sind die Singl´s in Regensburg ein Klacks gegen die fast Millionen Singls in Berlin. Und die haben manchmal Probleme, um die sich statistisch keine Sau kümmert! Mich kümmern die wenigen Meter zu zwei S-Bahn Linien in den Norden oder Süden. Nach West und Ost gibt es zwei Bus-Linien. Zum Potsdamer Platz ist man in wenigen Minuten. Eigentlich ist der Askanische Platz das Zentrum von Berlin. Es wissen das nur wenige.

© rhebs 25.06.2011